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Studentische Entwürfe für eine Moschee

Während eine Vielzahl christlicher Sakralbauten als ökonomisch überzählig umgenutzt oder abgerissen wird, und damit die Symbolbauten des Christentums aus der dörflichen und städtischen Öffentlichkeit verbannt werden, sind zur Zeit etwa 180 repräsentative bauliche Manifestationen des islamischen Glaubens in Deutschland im Bau oder in Planung.

Auch in der Westerwald-Stadt Höhr-Grenzhausen beabsichtigt der ansässige islamische Verein auf einem innerstädtischen Grundstück eine neue Moschee zu bauen. Die zur Zeit als Moschee genutzten Immobilien sollen durch einen repräsentativen Neubau ersetzt werden. Auf Bitten der Stadt haben in einem Entwurfsseminar Architekturstudenten/innen der Fachhochschule Koblenz die Chance wahrgenommen und eine genuin neue Architektur für die Moschee kreiert. Ziel ist, eine Qualitätsdebatte auszulösen, die sich für eine zeitgemäße euro-islamische Sakral-Architektur stark macht.

Immer noch kursiert die Vorstellung, dass die Moschee-Form durch das Zusammenfügen von Kubus und Kuppel entsteht. Dies entspricht dem Referenztyp der tradierten osmanischen Moschee wie sie durchaus auch in meinen Baugeschichtsvorlesungen an der Hochschule vermittelt wird. Es ist jedoch zu befürchten, dass dieses Klischee in der kleinen Stadt Höhr-Grenzhausen im Westerwald wie eine Art Disneyland-Architektur wirken und ein solcher Bau alles Magische und Metaphysische verlieren würde. Auch ist von der architektonischen Evolution des Moschee-Baus her gesehen das Minarett keinesfalls immanenter Teil der auf einem Zentralbau basierenden Grundform des islamischen Gebetshauses.

Moschee-Bauten in Deutschland sollten den städtebaulichen Gegebenheiten Rechnung tragen und nicht einfach Moschee-Kopien aus muslimischen Ländern sein. Wegen der fremden Formensprache der Architektur wäre die tradierte Moschee-Konfiguration ein Fremdkörper im optischen Erscheinungsbild der Stadt. Neben der Aufgabe, einen repräsentativen, gottgefälligen Sakralbau zu errichten, soll mit dem Bau die Chance genutzt werden, das Stadtbild durch ein neues authentisches Bild, das in die Zukunft weist und das 21. Jahrhundert repräsentiert, zu verbessern.

Es werden nachfolgend verschiedene Entwürfe einzeln vorgestellt.

Entwurf I. Goldstein

Mit diesem Identität stiftenden studentischen Entwurf wird dem Stadtteil Höhr jene Signifikanz verliehen, die ihm bislang fehlt. Der Ort wird durch die prägnante Architektur der Moschee neu determiniert, aber nicht selbstreferentiell, sondern höchst kontextuell. Dies geschieht städtebaulich mit puristischer Strenge ohne exaltierte Bauformen. Der monolithische Sakralbau akzentuiert sein heterogenes Umfeld durch seine einfache, klare Geometrie und stellt einen markanten Punkt im Stadtbild dar. Das Gebäude gliedert sich in mehrere Stockwerke: Unten befinden sich die Versammlungs- und Verwaltungsräume und die nach Geschlechtern getrennten Waschräume, oben der Betsaal, etagenweise nach Männern und Frauen getrennt. Der querrechteckige Betsaal ist mit seiner Qibla nach Mekka ausgerichtet und erlaubt den Gläubigen, in Reihen nebeneinander hinter dem Vorbeter zu stehen. Der Mihrab, der die Bet-Richtung angibt, akzentuiert den Innenraum. Die Moschee ist durch schlichte Räume geprägt, deren spirituell-atmosphärische Wirkung erst durch den besonderen Lichteinfall zum Tragen kommt.

Trotz aller Schlichtheit ist ein atmosphärischer Ort entstanden, der innen wie außen der Wertigkeit seiner Bestimmung gerecht wird. Der prägnante Bau balanciert zwischen Anmut und Askese. Beeindruckend ist vor allem das Gitterwerk der Außenhülle, das mit den Formen von Drei- und Sechseck spielt. Dieser Mashrabiya-Wandschirm mit der archaisch-abstrakten Formensprache gibt dem Moschee-Komplex eine signifikante Unverwechselbarkeit. Alle Geschosse werden über eine außen liegende Treppenanlage erschlossen. Die seitliche Begrenzung der Erschließung ist im doppelten Sinn des Wortes überhöht und ersetzt das Minarett durch seine panoptische Funktion. Entstanden ist ein Gotteshaus von materialsinnlicher Einfachheit, in dem sich alles um Spiritualität, Mystik, Licht und Schatten dreht.

Die Arbeit stellt einen überzeugenden Beitrag zum gestellten Thema dar. Mit der Außenhülle werden in subtiler Weise Bezüge zum Wesen des Islam geschaffen. Der Neubau birgt eine doppelte Chance: Neben dem Gewinn für das religiöse und kulturelle Leben der Muslime in Höhr-Grenzhausen wird die unwürdige Hinterhof-Moschee mit ihrem Areal und der städtebauliche Kontext revitalisiert. Dieser ebenso innovative wie symbolträchtige Sakralbau könnte in Höhr zur Pilgerstätte werden.

Entwurf Surges/Wilimzik

Am Anfang war das Wort: Das figurative Erscheinungsbild des Sakralbaus basiert auf der stilisierten Umsetzung der kalligraphischen Zeichen für „Allah“. Angeregt vom Potential und Objektcharakter des kalligraphischen Schriftzugs haben die Verfasserinnen diesen flexibel als Entwurfsgrundlage genommen. Die Lettern bilden die konchenartige Wand des Bet-Raums. Die konnotative Botschaft des großen Wortes ist evident. Der Pfeil des Schriftzeichens, der nach Mekka weist, trennt den Bet-Raum vom Foyer. Die Empore separiert in traditioneller Art die Geschlechter. Gerade auch im Zeitalter der Beliebigkeit zeigt diese Architektur eine unverwechselbare und identitätsstiftende Authentizität. Den Entwurfsverfasserinnen ist ein Sakralbau von signifikant physischer Präsenz und spiritueller Ausstrahlung gelungen.

Entwurf J. Fröhlich

Wie eine Moschee aussehen muss, in Form, Größe und Gestalt ist nicht a priori definiert. Die einzige Vorgabe durch den Koran ist, dass die Gläubigen ihr Gebet in Richtung Mekka verrichten müssen. Die Gebetsrichtung wird mit Hilfe der Qibla-Wand, die in ihrer ganzen Breite nach Mekka weist, determiniert. In ihrer Mitte befindet sich der Mihrab, eine Gebetsnische, in der der Imam betet. Kuppel und Minarett sind lediglich historische Bauelemente, die vor allem im anatolischen Raum zu finden sind. Muslimische Gebetshäuser in anderen Regionen kommen ohne Kuppel und Minarett aus.

Mit einer städtebaulich großen Geste wird der Genius Loci durch die signifikante Architektur der Moschee neu determiniert. Der monolithische, an seiner Spitze 17 m hohe Polyeder akzentuiert die Ecksituation des heterogenen Umfelds. Dieser skulpturale Bauentwurf entwickelt einen ordnenden und einprägsamen Dialog zwischen der Stadt und seinem zu vermittelnden Inhalt. Durch die geschickte Kombination von Materialien und Formen entsteht ein starker Kontrast zum Weichbild der Stadt. Es entwickelt sich eine spannungsvolle Wechselwirkung zwischen dem unkonventionellen Moschee-Bau und seinem Ambiente. Die Fassadenkonstruktion beeindruckt durch ihre überwältigende Dynamik und Plastizität. Verkörpert wird hier vor allem eines: Expressivität und Transparenz. Der Besucher soll wie beim Anblick einer christlichen Kathedrale sinnlich und ästhetisch ergriffen und bewegt werden. Der Grundriss des Betraums lässt eine immanent starke sakrale Anmutung erwarten. Insgesamt stellt diese studentische Arbeit einen überzeugenden Beitrag zum gestellten Thema dar.

Entwurf J. Berdi: Neue Möglichkeiten der Baukunst durch Computer Aided Design

Die städtebauliche Analyse ergibt, dass das fragmentierte Stadtgewebe keine Architektur erlaubt, die sich städtebaulich diskret einfügt und anpasst. Zwei skulpturale Solitäre sollen dem Ort einen neuen Halt geben und ein architektonisches, gesellschaftliches und politisches Zeichen setzen. Der unkonventionelle Baukomplex beruht nicht auf vorgedachten Baubeispielen. Die markanten, zweisinnig gekrümmten Gebilde, die an Werke von Hans Arp erinnern, machen die Architektur zu ungewöhnlichen, monumentalen Artefakten in ihrem Umfeld.

Die sakralen und profanen Nutzungen sind separat in verschiedenen, polygonalen Körpern untergebracht. Schulungsräume und Imam-Wohnung sind in dem, sich Vitrinen artig zum Hof hin öffnenden, als ovale, halbkugelige Schale konstruierten Baukörper integriert. In der fast hermetisch geschlossen wirkenden Bauskulptur sind die rituelle Waschanlage (Midaa) und der Bet-Raum – mit der wegen der Geschlechtertrennung erforderlichen Frauenempore – untergebracht. Dem Betenden, der in diesem unkonventionellen, zweisinnig gekrümmten Raumgebilde Allah anruft, soll es das Abbild des Paradieses sein.

Der hermetisch geschlossene Monolith des Moschee-Baus öffnet sich in einer aufsteigenden Bewegung in Form einer Parabel zum Brunnenhof. Die häufig erhobene Forderung nach Transparenz der Moscheen in Deutschland ist mit der Vitrinen artigen Verglasung des Gemeindehauses, die großzügig Einblick gewährt, erfüllt. Ein weit ausgreifender Bügel markiert die Eingangssituation der neuen szenografischen und architektonischen Bau-Idee. Insgesamt handelt es sich hier um einen architektonisch, kultisch und symbolisch gleichermaßen überraschenden Baukomplex, in dem Moschee und Gemeindezentrum eine Einheit bilden. Mit diesem studentischen Entwurf, in dem auch Innen und Außen zu einem organischen Gesamteindruck verschmelzen, wird dem Anspruch, eine neue Sakralarchitektur für Moscheen in Deutschland zu schaffen, Rechnung getragen.

Die über Generationen gefestigten Vorstellungen von Moscheen müssen aufgebrochen werden. Die meisten türkischen Migranten denken bei dem Wort Moschee sofort an die Süleymaniye oder die Blaue Moschee. Leider werden diese großartigen osmanischen Kuppelmoscheen fast immer nur als schlechte Abbreviaturen realisiert. Die ästhetischen Vorstellungen der Erbauer beruhen auf vagen Erinnerungen an Dorfmoscheen im türkischen Heimatort, sind aber nicht unbedingt durch ästhetische Schulung geprägt.

Entwurf S. Baitler: Neue Möglichkeiten der Statik durch Computer Aided Design

Dieser studentische Entwurf bemüht sich mit einer städtebaulich groß angelegten skulpturalen Geste ein Zeichen zu setzen. Eindrucksvoll schafft sich das optisch nahezu frei schwebende Gebäude selbst einen attraktiven Ort. Nachhaltig dominiert der gewaltige Polyeder als kantiger Monolith sein Umfeld. Unter dem kühnen Baukörper entsteht Platz für einen neu geschaffenen öffentlichen Raum. Durch den großen Auftritt solch einer schwebenden Großplastik gewinnt der Stadtteil Höhr an Attraktivität und sinnhafter Präsenz.

Um das waghalsige Gebilde zu betreten, das die späte Erfüllung konstruktivistischer Architekturvisionen der frühen Moderne zu sein scheint, geht man unter ihm hindurch. Die Wegeführung ist als Agora-Spirale geplant. Der Bet-Saal schwebt quasi über dem Erdboden. Der Besucher soll sich durch den Raum bewegen, damit der Raum ihn bewegt. Die voll verglaste Stirnseite öffnet sich zur Stadt und schafft als Nexus mit seinem auskragenden Volumen eine neue Verbindung zu Allah und der Welt. Der weitauskragende Baukörper soll gen Himmel streben, als wäre er befreit von der Schwerkraft und allen anderen irdischen Gesetzen. Und so wird denn auch der Weg hinauf in den Bet-Raum zu einer raffinierten Inszenierung mit überraschenden Ausblicken und unerwarteten Raummodulationen. Dort soll der Besucher wie in einer Kathedrale ergriffen werden. Die Spannung liegt in der Doppelnatur der Wahrnehmung, der „Gleichzeitigkeit eines Ergreifens und Ergriffenwerdens“ (Merleau-Ponty).

Der prägnante und skulptural entwickelte Solitär ist ein Superlativ in dreierlei Hinsicht: städtebaulich, architektonisch und konstruktiv. Die gewaltigen Lasten werden von einem tragenden Netz aufgenommen, das den Baukörper umhüllt. Die Statik zeigt sich hier geradezu als ihr Gegenteil, nämlich als Dynamik. Diagonal angeordnete Druck- und Zugstütze überziehen das Bauobjekt mit ornamentalen Schnittmustern, die jedoch nicht beliebig sind, sondern den Kräftefluss ahnen lassen. Ohne Großrechner wären solche Raumschöpfungen nicht machbar.

Das Entwurfsseminar hat gezeigt, dass Moschee-Neubauten hierzulande nicht zwangsweise Repliken trivialisierter osmanischer Sinan-Moscheen – wie sie zu Tausenden in Anatolien stehen – sein müssen. Man hätte leicht der Versuchung erliegen können, in das zu verfallen, was Karl Friedrich Schinkel die „Barbarei der gesicherten Werte“ genannt hat. Es wurden nicht einfach arrivierte Moscheebau-Konzepte verwandt, sondern neue, dialektische kreiert. Innerhalb der Begrenzungen wurden subtile, subversive Ausdrucksformen für das in Deutschland relativ neue Phänomen muslimische Gemeinden gewagt.

Prof. Henner Herrmanns

5 Kommentare zu “Ohne Kuppel und Minarett

  1. Hallo Herr Prof. Herrmanns,
    Ihren Blog finde ich gut.
    Das Thema Moscheebauten ist im Moment ja in aller Munde.
    Die Entwürfe sind gelungen. Ich hätte da aber eine kleine kritische Bemerkung. Moscheebauten sind und waren seit jeher nicht nur Gebetsraum, sondern wenn Sie so wollen „Rats- und Bürgersaal, sozialer Treffpunkt und auch ein Ort der Wirtschaft“. Also ein Mehrzweckgebäude. Rein spirituelle islamische Gotteshäuser sind sehr selten. Ich könnte aus meiner Erfahrung außer der Moschee der großen Nationalversammlung in Ankara keine benennen. Übrigens diese kommt sogar ohne Minarett aus. Das was viele Mitteleuropäer als bedrohlich empfinden……..;o). Die Moschee ist von Behruz Cinci 1989 erbaut worden.
    Beste Grüße
    Dipl. Ing. Architekt
    Asker Mogulkoc

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  3. My Name is Sonia Hidalgo. I am Architekt. I invite you to join the group: Temple Builders: https://www.facebook.com/groups/477891609006878/
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    Mi nombre es Sonia Hidalgo, soy arquitecta. Le invito a unirse al grupo: Constructores del templo:
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    Es una página dedicada a aprender acerca de la descripción del templo según el profeta Ezequiel, resultado de un profundo estudio de este tema.
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